„Die neue Normalität beginnt da, wo wir anfangen, Menschen so zu nehmen, wie sie sind. Eben als Menschen.“

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Katrin Dusel

Queer im Job: Kira Alin im Interview

„Die neue Normalität beginnt da, wo wir anfangen, Menschen so zu nehmen, wie sie sind. Eben als Menschen.“

 

Kira Alin ist Chefreporterin bei akte. und mit ihrer langen Geschichte im Unternehmen ein wahres P7S1-Kind. Als Gast unserer „Queer im Job“-Reihe erzählt Kira, mit welchen Schwierigkeiten und Hürden sie als Trans*frau im Berufsleben zu kämpfen hatte.

Was sie sich gesellschaftlich und beruflich im Umgang mit Trans*menschen wünscht, warum es an Aufklärung fehlt und was Unternehmen tun können, um Benachteiligung und Diskriminierung vorzubeugen, verrät sie uns im Interview.

 

 

Was ist deine Position im Unternehmen? Erzähle uns etwas über dich!

Ich bin Reporterin im Bereich sozialkritischer und investigativer Berichtserstattung bei akte. in SAT.1 und habe eine lange Geschichte bei P7S1. Vor etwa elf Jahren bin ich mit einem journalistischen Volontariat bei ProSieben taff gestartet. Das war eine sehr schöne Zeit und eine gute Schule – nicht nur im Bereich Journalismus, sondern tatsächlich fürs Leben. Nach sechs Jahren bei taff bzw. ProSieben hat es mich nach Köln verschlagen, da ich etwas Neues kennenlernen und auch meine Fähigkeiten im investigativen Journalismus vertiefen wollte. Weitere drei Jahre später habe ich erfahren, dass die akte.-Redaktion nach München zieht. Ich war sofort Feuer und Flamme, bin im Herbst 2019 zurück nach München zu meinem Heimatsender gekommen und kenne das Unternehmen somit seit etwa 11 Jahren. Ich bin also ein richtiges P7S1-Kind. (lacht)

Liebe Kira, du bist heute Gast unserer Interviewreihe „Queer im Job“, bei der wir mit queeren Kolleg:innen über ihr Berufsleben sprechen. Du bist trans: Hast du Erfahrungen gemacht, dass dies Auswirkungen auf deinen Job hat oder hatte?

Dass ich eine Trans*frau bin, hat mich schon zu Beginn meiner Karriere massiv beeinflusst, denn ich hatte deswegen große Zweifel und Sorgen. Bevor man Reporterin wird, studiert man in der Regel und absolviert Praktika in unterschiedlichen Redaktionen. Während meines Studiums hatte ich meine Transition, also die Angleichung an mein Wunschgeschlecht, schon hinter mir, war aber immer noch sehr unsicher, die ersten Schritte ins Berufsleben zu machen. Ich habe mir oft die Frage gestellt, ob ich offen mit meinem Trans*gender-Hintergrund umgehen oder es doch besser geheim halten soll.

Was waren deine Bedenken?

Vor 15 Jahren, als ich meine ersten beruflichen Schritte gemacht habe, war das Thema Diversity noch ein absolutes Fremdwort. Eine Reporterin, die einen Trans*gender-Hintergrund hat und dann einen derart repräsentativen und in Teilen öffentlichen Beruf ausübt, war undenkbar. Mag sein, dass die öffentliche Meinung etwas weiter war, aber in vielen Chefetagen der Redaktionen saßen vorwiegend Männer, die teilweise ein sehr konservatives Weltbild und damit auch eine sehr beschränkte Auffassung davon hatten, wie Journalist:innen zu sein hatten. Natürlich lässt sich das nicht verallgemeinern, aber meine Angst war, dass Menschen mit einem Transgenderhintergrund sicherlich nicht der Vorstellung gewisser Entscheider:innen entsprachen.

Wie bist du damit umgegangen?

Ich wollte seit meiner frühsten Kindheit Journalistin werden und habe mich von meinem ehrgeizigen Plan nicht abbringen lassen. Heute habe ich das Glück, das Diversität im Berufsleben sehr positiv besetzt ist. Leider nicht in allen Branchen und auch nicht in allen Unternehmen, aber auf jeden Fall bei P7S1. Ich möchte in einer Gesellschaft leben, wo Vielfalt als Chance für Innovation begriffen wird. Und das funktioniert nirgendwo besser als am Arbeitsplatz oder im Berufsleben.

Hast du das Gefühl, dass du dich als akte.-Reporterin einbringen und mit deinem diversen Hintergrund Akzente setzen kannst?

In unserer Redaktion bin ich häufig die Erste, die angesprochen wird, wenn es um Beiträge rund um LGBTIQ* geht. Wir behandeln das Thema auch bei der akte. großflächig, wollen aufklären und es für die Allgemeinheit greifbar machen. Gerade arbeite ich etwa an einem Beitrag zum Thema Blutspende. Das ist für Menschen mit Trans*gender-Hintergrund immer noch mit großen gesellschaftlichen Hürden und Problemen verbunden. Es geht sogar so weit, dass in den Richtlinien des RKI und des Paul-Ehrlich-Instituts Transgender mit einem eigenen Passus erwähnt werden. Diese veralteten Richtlinien gibt seit den 1980er Jahren und wurden seither nicht geändert.  Als Journalistin und als Medienschaffende kann und will ich aktiv dagegensetzen. Aber auch das Bild von Journalist:innen müsste einem Wandel unterliegen. Es wird teilweise erwartet, dass in Innenredaktionen möglichst neutrale Menschen sitzen, die einem gewissen Normativ entsprechen. Dem widerspreche ich, ich will mich für Gruppen, die nicht der Mehrheit entsprechen, stark machen.

Du hast bereits angesprochen, dass du aufklären und Transidentität greifbarer machen möchtest. Glaubst du, dass hier das Problem liegt und Menschen manchmal aus der Unwissenheit heraus diskriminieren, ohne es zu merken?

Absolut! An erster Stelle ist es wichtig, dass man diesem Thema mit Offenheit und Normalität begegnet. Ich kann verstehen, dass einige Menschen zunächst verunsichert sind, da man allein schon auf die Art und Weise, wie wir über Trans*menschen sprechen, etwas falsch machen kann.

Was meinst du genau? Hast du ein paar Beispiele?

Eine Aussage wie „Er will jetzt eine Frau sein.“ oder „Sie war früher ein Mann.“ wäre für mich als Trans*frau unzutreffend. Richtig wäre „Sie möchte jetzt als Frau leben.“ oder „Sie lebte früher als Mann.“ oder „Sie ist mit männlichen Geschlechtsteilen auf die Welt gekommen. Heute ist sie eine Frau.“ Das Wort Umwandlung möchte kein Trans*mensch hören – bitte einfach gegen das Wort Angleichung austauschen, denn das Geschlecht wird dem Wunschgeschlecht angeglichen. Bevor man aber überfordert ist und die Hände über den Kopf schlägt, muss man einfach cool bleiben. Kein Trans*mensch erwartet, dass alle Menschen auf Anhieb die richtige Wortwahl treffen. Das ist auch überhaupt kein Problem, im Gegenteil: Wenn man offen auf Trans*menschen zugeht und Interesse zeigt, dann kann man alles fragen – solange man es respektvoll tut.

Musstest du schon einmal Erfahrungen mit Diskriminierung oder Trans*phobie im Job machen?

Ja, leider. Zu Beginn meiner Karriere habe ich ein Praktikum absolviert und hatte am Ende Aussicht auf ein Volontariat. Meinen Hintergrund hielt ich damals vor meinem Arbeitgeber geheim, denn ich war mir nicht sicher, wie man darauf reagieren würde. Am Ende des Praktikums bekam ich eine mündliche Zusage zum Volontariat und eine Woche später komischerweise eine Absage. Anschließend habe ich von Kolleg:innen erfahren, dass man innerhalb der Redaktion über meinen Trans*genderhintergrund gewitzelt habe. Angeblich habe man das kritisch gesehen und daraufhin absagen müssen. Transphobie im Job lässt sich in vielen Fällen nicht festmachen, weil es häufig sehr subtil und selten offen geschieht. Ich erinnere mich auch noch einen anderen Fall vor ca. drei Jahren. Ich war erschrocken, wie offen mich da jemand vor versammelter Gruppe wegen meiner Trans*identität diskriminiert hat.

Wie hast du reagiert?

Ich wollte die Person eigentlich konfrontieren, habe es aber aus Sorge um meine Stellung im Unternehmen und meinen Arbeitsplatz nicht getan. Heute denke ich mir, dass ich etwas hätte tun sollen. So etwas darf man nicht durchgehen lassen. Ich habe ein relativ gutes Passing, da ich mit der Transition sehr früh begonnen habe und deswegen sieht man es mir nicht an. Ich habe es in dem Fall einfacher als Trans*gender, die sich gerade mitten in der Transition befinden. Sie sind dadurch auffälliger und anfälliger für Diskriminierungen.

Was kann ein Unternehmen als Arbeitgeber deiner Meinung nach tun, um Benachteiligung und Diskriminierung vorzubeugen?

P7S1 ist für mich hier wirklich Vorreiter, denn ich habe hier keinerlei negative Erfahrungen gemacht. Vielmehr begegnen dir die Menschen hier mit Offenheit. Das PROUD-Netzwerk unseres Unternehmens arbeitet gerade Standardvorgaben mit vielen unterschiedlichen Abteilungen aus, um der Benachteiligung von Trans*menschen am Arbeitsplatz entgegen zu wirken. Das ist ein toller Schritt! Besonders stolz bin ich, dass ich dabei unterstützen darf. Trans*identität im Berufsleben ist eine der größten Hürden auf dem Weg zum Wunschgeschlecht und als ich vor über elf Jahren bei P7S1 angefangen habe, hätte ich mir nie träumen lassen, dass wir heute da sind, wo wir sind. Aber: Auch bei P7S1 sind wir nicht am Ende der Entwicklung, wir müssen auch in Zukunft nicht nur außerhalb sondern auch innerhalb des Unternehmens klar zeigen, wie wir mit dem Thema umgehen.

Hast du konkrete Ideen?

Ich kann mir beispielsweise Schulungen oder Veranstaltungen für Mitarbeiter:innen vorstellen, die darauf aufmerksam machen und aufklären, wie man mit Trans*menschen oder auch über LGBTIQ* hinaus beispielsweise mit Menschen mit Behinderung richtig umgeht. Wir brauchen auf jeden Fall Aufmerksamkeit für dieses Thema und wir müssen uns dafür einsetzen, dass alle Mitarbeiter:innen unsere Unternehmensrichtlinien für Vielfalt und  Chancengleichheit nicht nur kennen, sondern auch leben.

Gibt es etwas, das du dir im Umgang mit transidenten Personen wünschst?

Ehrliche Offenheit. Netzwerke wie PROUD gibt es auch bei anderen Unternehmen. Wenn gerade der Pride-Month ist, sind die Logos vieler Unternehmen in den bunten Farben der Regenbogenflagge eingetaucht, was natürlich super ist, denn auf diese Weise wird der Vielfaltsgedanke weit in die Welt getragen. Leider sieht die Realität häufig anders aus. Für Verbraucher:innen und auch Arbeitnehmer:innen ist es schwer herauszufinden, inwiefern Unternehmen wirklich LGBTIQ*-freundlich sind oder nur das sogenannte Pink-Washing betreiben. Diversität darf auf keinen Fall zum Selbstzweck werden. Vielmehr müssen wir uns die Frage stellen, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen und wenn unsere Gesellschaft auf einer freiheitlich demokratischen Grundstruktur basiert, dann gehört LGBTIQ zu einem selbstverständlichen und normativen Teil der Gesellschaft dazu. Ich bin froh von unserem Unternehmen sagen zu können, dass wir nicht nur bis zum Pride Monat warten, um die Regenbogenflaggen auszupacken. Generell sind wir in Deutschland Vorreiter, weil wir schon sehr früh das Potenzial in queeren und diversen Gesellschaften erkannt haben.

Was würdest du queeren Personen mit auf den Weg geben, um besser mit Transphobie bzw. Homophobie umgehen zu können?

Ich habe mir nach all diesen Erfahrungen lange Gedanken gemacht und mich mit anderen ausgetauscht und das Wichtigste ist: Man ist nicht allein! Menschen, die wegen ihrer sexuellen Identität oder Genderidentität in welcher Weise auch immer diskriminiert oder diskreditiert werden, sollten sich anderen Menschen anvertrauen. In vielen großen Unternehmen gibt es bereits Netzwerke, an die kann man sich wenden. Wenn man diese Möglichkeit nicht hat, gibt es öffentliche Stellen, wie die Bundesvereinigung Trans* e.V. oder die Anti-Diskriminierungsstelle des Bundes. Wichtig ist es, frühzeitig und klar zu signalisieren „Halt, nicht mit mir!“ Auch wenn man das Gefühl hat am kürzeren Hebel zu sitzen, weil man denkt man könne es nicht beweisen. Ich rate Betroffenen: Protokolliert und dokumentiert Vorfälle detailliert, mit Datum, Uhrzeit und der Beschreibung des Geschehens. Das gilt bei Diskriminierung, Mobbing und Diskreditierung schon als Beweis.

Wie müsste queere Repräsentation in einer perfekten Welt für dich aussehen?

Wir brauchen Normalität, das muss das Ziel sein! Dazu bedarf es keiner perfekten Welt. Dazu bedarf es nur Menschen, die jetzt richtige Entscheidungen treffen, weil sie erkennen, dass Diversität nicht nur die Gleichstellung der Frau bedeutet. Es muss einfach normal sein, dass mehr Menschen mit unterschiedlichen Geschlechtsidentitäten auch in öffentlichen und hohen Positionen Einzug erhalten. Die neue Normalität sollte so aussehen, dass der queere Hintergrund im besten Fall keine oder zumindest nur eine untergeordnete Rolle spielt. Wir müssen endlich raus aus dieser Paradiesvogelecke, wenn es um die öffentliche Darstellung queerer Menschen geht. Bei der Repräsentation queerer Menschen ist es wichtig, sie nicht auf ihre Geschlechtsidentität oder sexuelle Orientierung zu reduzieren. Ich wünsche mir mehr Role Models, die es vormachen. Wir müssen anfangen, den Kreis der normativen Geschlechtsidentitäten zu erweitern und das geht nur, wenn wir sie auch normal abbilden. Im besten Fall ist es nur ein Teil ihrer Identität, der aber nicht im Vordergrund steht. Das wäre ein Transgendervordergrund und ich möchte einen Transgenderhintergrund haben. Die neue Normalität beginnt da, wo wir anfangen, Menschen so zu nehmen wie sie sind. Eben als Menschen.