„Aus dem eigenen Lebensweg kann neuer Mut für andere entstehen!“

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Katrin Dusel

Queer im Job: Sandra Vollmer im Interview

„Aus dem eigenen Lebensweg kann neuer Mut für andere entstehen!“

 

Sandra Vollmer, Geschäftsführerin & CFO von Verivox, ist die nächste Interviewpartnerin in unserer "Queer-Im Job"-Reihe. Warum ihr Outing als Führungskraft mit besonderen Herausforderungen verbunden war, welche Strahlkraft ihre Offenheit als Geschäftsführerin hat und wie sie ihre Ängste überwinden konnte, um selbst zur Mutmacherin zu werden, verrät sie im Interview mit Jessica.

 

Liebe Sandra, wir freuen uns sehr, dich als Gast unserer „Queer im Job“-Reihe begrüßen zu dürfen. Wer bist du und was machst du im P7S1-Kosmos? 

Mein Name ist Sandra Vollmer und als Geschäftsführerin/CFO von Verivox bin ich für das Finance-Ressort verantwortlich. Seit Juli 2022 bin ich Teil des Konzerns und habe die Kultur vom ersten Moment an als sehr offen empfunden. Das war tatsächlich auch ein wesentlicher Grund, weshalb ich die Position überhaupt angetreten habe. 

Wie zeigt sich für dich diese Offenheit im Konzern?

Ich bin in einem männlichen Körper geboren, identifiziere mich aber als Frau. Weder während des Einstellungsprozesses noch danach stand dies im Vordergrund – es geht und ging zu jedem Zeitpunkt um meine Leistung. Ich werde als Sandra wahrgenommen und man hat Erwartungen an mich und meine Funktion, was in meinen Augen genau richtig ist. Von dieser menschlich geprägten Atmosphäre war ich von Anfang an beeindruckt. 

Stichwort Offenheit: Wir haben in dieser Reihe mit Kolleg:innen gesprochen, die sich häufig mit Vorbehalten oder Berührungsängsten der Gesellschaft gegenüber transgeschlechtlichen Menschen konfrontiert sehen. Was glaubst du, warum Offenheit und Akzeptanz gegenüber Menschen mit Transgender-Hintergrund manchen Personen schwerfällt?

Um jemanden in seiner:ihrer Transidentität wirklich annehmen zu können, hilft es die Hintergründe zu verstehen. Meiner Ansicht nach ist Aufklärung aber auch die Bereitschaft des Umfeldes, sich damit zu beschäftigen und offen für bislang vielleicht Unbekanntes zu sein, essenziell. Für viele ist es immer noch das erste Mal, wenn sie im Erwachsenenalter einen Trans-Menschen kennenlernen und manchen Personen fällt es dann schwer zu verstehen, dass Trans-Menschen sich beispielsweise nicht verkleiden. Nein: Sie wurden mit ihrer Trans-Identität geboren – nur eben im falschen Körper. Und auch, wenn es für manche irrsinnig klingen mag und die Personen denken: „Das ist doch gar nicht möglich!“ Doch, ist es! In meinem Fall: Als Frau geboren, doch äußerlich im Körper eines Mannes steckend.

Als Geschäftsführerin/CFO von Verivox hat deine Offenheit eine hohe Strahlkraft. Auch dein Outing erfolgte als Führungskraft. Welche Herausforderungen oder Ängste brachte dies mit sich? 

Angst trifft es sehr gut, denn Ängste waren für mich lange Zeit ein dominierendes Thema. Ich hatte Angst, meinen Job zu verlieren. Angst, nicht akzeptiert zu werden und nie mehr einen Fuß in der Berufswelt fassen zu können. Diese Ängste haben mich bis in meine späten Dreißiger verfolgt. Doch irgendwann wurde der Druck, in meiner wahren Identität leben zu wollen, so hoch, dass ich den Schritt schließlich gewagt habe. Eine besondere Herausforderung war, dass ich in meiner damaligen Position nicht nur für Finanzen, sondern auch für das Personalwesen verantwortlich war. Das bedeutet, dass ich meine eigene Abteilung hätte fragen müssen, wie man in so einer Situation am besten vorgeht. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich das Gefühl, mit niemandem wirklich sprechen zu können, und habe dies daher über den gesamten Outingprozess hinweg mit mir selbst ausgemacht. Rückblickend hätte ich zumindest die Beratung des:der Diversity-Beauftragte:en einfordern können. 
 


 

Das war bestimmt ein sehr emotionaler Moment für dich.

Absolut – vor allem war es ein unfassbar befreiendes Erlebnis! Es ist schwer zu erklären, aber die Person sein zu dürfen, die ich schon immer war, und von meinem Umfeld in eben dieser Identität wahrgenommen und akzeptiert zu werden, hat in dem Moment einen so hohen Stellenwert, dass mich das in meinen Grundfesten im positiven Sinne massiv gestärkt hat. Im Anschluss an die Video-Botschaft haben mich unzählige positive und bestärkende Zuschriften erreicht. Und solche Rückmeldungen sind wichtig, denn sie machen Mut, hoffentlich auch all jenen Menschen, denen dieser Schritt des Outings noch bevorsteht.

Durch deine Offenheit und Unterstützung bist du selbst Mutmacherin: Was können Mutmacher:innen, Allies und wir als PROUD-Community noch tun, um zu unterstützen?

Wir als Community müssen lauter werden! Indem wir über unsere Lebenswege sprechen, können wir Vorbild sein. Aber nicht nur gegenüber anderen Betroffenen aus der Community, sondern auch nach außen. Unsere Anstrengungen sollten darin bestehen, zu fragen: Wie schaffen wir es, dass uns noch mehr Menschen mit dieser Offenheit begegnen? Egal ob homosexuell, trans oder cis! Wir sind alle so geboren, wie wir sind. Das ist weder gut noch schlecht. Das ist einfach normal. Und um diese Erkenntnis in unserem Umfeld zu erreichen, müssen wir als Community noch nahbarer werden. Da kann es schon helfen, über die eigenen Erfahrungen zu sprechen und andere an den Gefühlen teilhaben zu lassen – wie in diesem Interview. So kann aus dem eigenen Lebensweg neuer Mut für andere entstehen.

Abschließend eine letzte Frage: Gibt es trotz deiner Offenheit noch etwas, das deine Kolleg:innen noch nicht über dich wissen?

Schon in jungen Jahren habe ich in einer Bigband gespielt und an Jugend-Wettbewerben teilgenommen - und das sogar ziemlich erfolgreich! So durfte ich eine Zeit lang sogar mit den in der Szene bekannten Jazz-Musikern Bill Ramsey, Sammy Nestico und Jiggs Wigham musizieren. Noch heute spiele ich leidenschaftlich das Jazz-Piano.