"Respektvoll miteinander umgehen heißt für mich, dass man sich mit der Thematik beschäftigt und die Anderen wirklich so nimmt, wie sie sind."

Profile picture for user Katrin Dusel
Katrin Dusel

Queer im Job: Ronja Liebert im Interview

"Respektvoll miteinander umgehen heißt für mich, dass man sich mit der Thematik beschäftigt und die Anderen wirklich so nimmt, wie sie sind."

 

Ronja Liebert ist eine Frau. Schon immer. Doch als Frau leben zu können war für die Systemadministratorin und Leiterin des digitalen Workflows bei SAT.1 Norddeutschland lange Zeit nicht selbstverständlich. Im „Queer im Job"-Interview spricht sie über ihren persönlichen Weg, ihre beruflichen Erfahrungen im Zusammenhang mit ihrer Geschlechtsangleichung und ihren bedeutungsvollen Namen.

 

Ein Interview von Alina Böhm

 

Liebe Ronja, würdest du dich kurz vorstellen? Wer bist du und was machst du bei ProSiebenSat.1?

Sehr gerne! Ich bin Ronja, stolze 50 Jahre jung und habe ursprünglich Grundschullehramt studiert und mit einem medienwissenschaftlichen Diplom abgeschlossen. In meiner Position bei SAT.1 Norddeutschland kümmere ich mich um alle Fragen der IT – im Support, direkt vor Ort oder auch an den vielen Außenstandorten. Für den Job bin ich damals extra nach Hamburg gezogen. Und diese Entscheidung habe ich bis heute keinen einzigen Tag bereut!

Du bist Gast unserer Interviewreihe „Queer im Job“: Warum passt deine persönliche Geschichte so gut in diese Interviewreihe?

Grundsätzlich überlasse ich es lieber meinem Gegenüber, sich selbst ein Bild von mir zu machen. In einem wechselseitigen Gespräch gewinnt man einen persönlichen Eindruck und das finde ich tatsächlich sehr wichtig. Was diese Interviewreihe betrifft, passt meine Geschichte aufgrund meiner Sexualität, denn ich wusste schon als kleines Kind, dass ich anders bin. Mir war bloß nicht klar, warum. Ich wurde in einem männlichen Körper geboren, habe Mädchen aber immer großartig gefunden und wollte so sein wie sie. Als ich mit ca. 10 Jahren meine Mutter mit diesem Thema konfrontiert habe, war das schwierig. Ihre Reaktion ging vor allem in die Richtung: „Was ist das? Ich verstehe das nicht.“

Wie bist du damit umgegangen?

In der damaligen Zeit war das Thema Trans* noch nicht so präsent und nicht so alltäglich wie heute. Ich habe im Grunde ein Doppelleben geführt. Das war keine einfache Situation und es hat mich sehr belastet! Als ich mich dann mit der Aussage, „Ja, ich lebe jetzt als Frau“, outete, folgte immer die Frage, ob ich nun schwul sei, vorher schwul war oder nun lesbisch bin. Doch für mich hat sich hier nichts geändert: Ich war vorher heterosexuell, wäre nun also lesbisch. Ich muss aber sagen, dass mir jetzt – aus der Frauensicht – tatsächlich auch manche Männer gefallen. (lacht)

Stichwort falscher Körper: Wie verhielt es sich mit deiner Geschlechtsangleichung?

Mir hat tatsächlich lange der Mut gefehlt, diesen Schritt zu gehen, und ich habe ihn erst 2016, also nach 35 Jahren, aufbringen können. Die Belastung so zu leben, ist enorm.

Hut ab, dass du diesen Weg gegangen bist! Wie bist du damals bei der Arbeit mit deiner Geschlechtsangleichung umgegangen?

Seit 2004 bin ich bei SAT.1 Norddeutschland, habe dort als Mann angefangen und viele Jahre auch als Mann gearbeitet. Rückblickend bin ich dort also länger als Mann gewesen als jetzt als Frau. 2016 habe ich mich geoutet – das ist nun fünf Jahre her und es hat sich angefühlt, als ob mir Ziegelsteine von den Schultern genommen würden. Anfangs hat man natürlich eine wahnsinnige Angst davor, wie die anderen reagieren. Ich war damals in therapeutischer Begleitung und habe einige Male eine Selbsthilfegruppe besucht. Dort wurde ich mit Geschichten konfrontiert, die mich wirklich erschreckt haben.

Deckt sich diese Geschichte mit deinen Erfahrungen?

Nein! Bei SAT.1 Norddeutschland waren diese Ängste absolut unbegründet. Mein Vorgesetzter hat mich beispielsweise sehr unterstützt. Als ich mit der Botschaft auf ihn zuging: „Ich bin eigentlich eine Frau und möchte diesen Schritt jetzt auch wirklich gehen“, haben wir gemeinsam ein Konzept ausgearbeitet, wie wir das publik machen. Ihm war daran gelegen, dass ich mich damit gut fühle und zugleich die Kolleg:innen auch mitgenommen werden. Anstatt sie mit der Information zu überfahren, lohnt es sich, das Thema etwas behutsamer anzugehen. Zum Beispiel habe ich oft das Gespräch bei einem entspannten Kaffee gesucht. Und ich muss wirklich sagen, dass ich ganz großartige Unterstützung durch meine Führungskräfte und all meine Kolleg:innen erfahren habe und viel Zuspruch bekomme.

War dieses „Mitnehmen“ der Schlüssel?

Absolut! Die anderen müssen die Entwicklung ebenfalls mitmachen. Man darf nicht böse sein, wenn es anfangs immer wieder passiert, dass der alte Name genannt wird. Ich habe dann einfach einen Witz gemacht. Nach einem Jahr wurde ich dann schon etwas ernster, aber trotzdem sollte man ein gewisses Verständnis füreinander haben. Der gemeinsame Umgang muss respektvoll sein.

Hast du in deinem Berufsleben oder im Privaten schon einmal Erfahrungen mit Trans*phobie machen müssen?

Natürlich gibt es manchmal persönliche Grenzen, die überschritten werden. Oft bekam ich von meinen Mitmenschen zu hören: „Ist es überhaupt in Ordnung, das zu fragen? Du brauchst nicht antworten, wenn…“, und meine Reaktion war immer eindeutig: Sie können mich alles fragen und bekommen auf alles eine Antwort. Es freut mich, wenn gefragt wird, denn es signalisiert mir, dass mein Gegenüber sich damit auseinandersetzt und diese Auseinandersetzung nimmt Umgangsängste. Ich habe Trans*phobie weder bei SAT.1 Norddeutschland erlebt noch in meinem Freundeskreis oder bei meiner Familie.

Wie verhält es sich in der Öffentlichkeit?

Hier ist es tatsächlich etwas anderes! Meine Körpergröße beträgt zwei Meter, ich bin ungeschminkt und habe eine tiefe Stimme, die ich allerdings schon etwas hochpresse. Da fällt man natürlich auf, weil man „anders“ ist.

Was würdest du Personen, die einen queeren Hintergrund haben und mit Trans*phobie oder LGBTIQ*-Feindlichkeit umgehen müssen, mit auf den Weg geben?

Im Job hilft eine Kontaktperson ungemein und es ist wichtig, die Vorgesetzten mit ins Boot zu holen. Letztlich geht es darum, dass man Rückhalt spürt und sich einen sicheren Hafen aufbaut. In der Außenwelt ist es manchmal schwierig. Mein Tipp: Seid nicht leise, sondern geht auf die Leute zu und sucht das Gespräch! So überbrückt man eine gewisse Distanz. Denn wer weiß, vielleicht haben Außenstehende auch Angst, einen anzusprechen. In meiner frühen Phase traf ich beispielsweise auf dem Weg zu einer Party auf ein älteres Ehepaar, das meine Freundin und mich musterte. Ich dachte mir: Wenn sie Fragen haben, sollen sie doch direkt auf mich zukommen und habe sie angesprochen. Daraus hat sich dann ein interessantes Gespräch entwickelt.

Ist für dich Respekt dasselbe wie Toleranz? Ist man tolerant gegenüber LGBT+, wenn man respektvoll ist und umgekehrt?

Respektvoll miteinander umgehen heißt für mich, dass man sich mit der Thematik beschäftigt und die Anderen wirklich so nimmt, wie sie sind. Tolerieren hingegen bedeutet oft: „Ist mir egal“ – und das ist nicht genug. Ich würde mir wünschen, dass wir uns alle gegenseitig akzeptieren und uns mit Respekt begegnen und nicht nur tolerieren.

Gibt es etwas, das deine Kolleg:innen noch nicht über dich wissen?

Ja, warum ich Ronja heiße. Normalerweise geben dir die Eltern zur Geburt einen Namen und er beeinflusst dich dein ganzes Leben – ob nun positiv oder negativ.  Es war für mich sehr wichtig, dass ich mich mit meinem Namen identifizieren kann. Tatsächlich hängt er mit dem Buch und der gleichnamigen Figur Ronja Räubertochter zusammen. Ich habe die Verfilmung wahrscheinlich schon 40-mal gesehen. Ich fand dieses kleine Mädchen immer toll, weil sie mit ihrem besten Freund aus der Räubergesellschaft ausbricht. Das hat mich sehr fasziniert. Was bisher vielleicht noch niemand wusste, auch ich begrüße den Frühling jedes Jahr mit einem Frühlingsschrei.